übergang
Bildliche Betrachtung zwischenstaatlicher Übergänge

In der Vergangenheit hatten die nationalen Grenzen trennenden Charakter. Hier wurden politische, juristische, fiskalische und monetäre Systeme voneinander abgegrenzt, dort sprachlich kulturelle Unterschiede. Grenzen waren Markierungen, die nicht nur territorial gezogen wurden, sondern quer durch die Köpfe. Das Andere, Unverständliche, Irritierende hatte so einen räumlich abgesteckten, eigenen Ort.

Im heutigen Europa verlieren die Binnengrenzen ihre politisch und wirtschaftlich trennende Funktion. Da die Schlagbäume aber schneller verschwinden als die Barrieren im Kopf, bleiben die alten Grenzen im Bewußtsein. Die nach wie vor bestehende kulturelle Trennung muß nicht negativ empfunden werden, für viele aber ist die geographische Ausdehnung der EU in ihrer Größe kaum noch nachzuvollziehen. Die langfristigen Konsequenzen einer äußerlich-funktionellen Einheit, bei gleichzeitiger kulturell-ideeller Zerissenheit, sind noch nicht absehbar.

In der anschließenden Bildbearbeitung wird vor allem der Hintergrund verändert. Der landschaftliche Kontext verliert seine Wiedererkennbarkeit. Die Grenzlandschaft wird unkonkret und austauschbar. Durch die dokumentarische Reihung und die Entkontextualisierung werden die Grenzposten zum Modell reduziert. Architekturvorstellungen und Zeitgeschmack der unterschiedlichen Länder werden spürbar. Die Grenzstationen erscheinen als verlorene Hüter, als verblichene Mahnmale für die einstige Trennung. Sie werden an das noch nicht Erreichte erinnern und daran, daß sie eines Tages mit Leichtigkeit wieder in ihrer alten Funktion genutzt werden könnten.

Mein Interesse an diesen Orten einstiger Grenz-Erfahrungen ist nicht zuletzt auf meine eigene Biographie zurückzuführen. Ich bin in Polen aufgewachsen, einem Land, dessen Territorium mehrmals in der Geschichte verschoben worden ist. Bald werden auch hier die Grenzbeamten entschwinden. Die Grenzstationen werden harmlos wirken — doch die beunruhigenden Bilder im Kopf werden sie noch lange wachrufen.

Josef Schulz