Zweckarchitektur: Profillos und farbenfroh
Mit dem Fotografen Josef Schulz auf Motivsuche,
Bayerische Staatszeitung, September 2002
von Roland Dippel

Arbeiten von ihm sind bis Ende September in der Ausstellung "in szene gesetzt" im Kunsthaus Kaufbeuren zu sehen. Josef Schulz (geb. 1966) ist einer der aufstrebenden Fotografen seiner Generation. Schwerpunktmäßig setzt sich der als Wettbewerbs-preisträger zum "Europäischen Architekturfotograf des Jahres 2001" gekürte Künstler (und diplomierte Betriebswirt) auseinander mit Industriegebäuden in der Peripherie von Ballungsräumen.
Als Zyklus hatte er 1999 in Südfrankreich gesichts- und profillose Einkaufszentren und Großgeschäfte festgehalten - überwiegend missliebig betrachtete Zweckbauten mit oft nur wenige Jahre nach Fertigstellung auftretenden Verfallsspuren und Verschleißerscheinungen. Die Fotowerke von Josef Schulz sind keineswegs realistische Dokumentationen von Baukonzepten und ihrer Wirkung, die Objektivität von Dokumentarfotografie stellt er prinzipiell in Frage. In einem aufwändigen digitalen Prozess verändert und optimiert Schulz seine Motive. Er gleicht die von ihm eingefangenen Gebäude einer abstrakten Idee an, die möglicherweise der Ursprungsidee des gestaltenden Architekten ähneln könnte. Dabei setzt er in seinem Düsseldorfer Atelier eigene Akzente mit Farben und scharfen Konturen. Menschliche und atmosphärische Wirkungen eliminiert Schulz ebenso wie den Standort kenntlich machende Hintergründe. Im Zyklus der "Centreaux Commercieux" hatte Schulz erstmals den Computer als Werkzeug eingesetzt und schnell erkannt, dass "man den Bezug der Fotografie zum realen Gegenstand verliert". Die Brüche bleiben sichtbar, den Betrachter will Schulz nicht täuschen. An die Ausrichtung der perspektivischen Linien und das Flächenverhältnis rührt er bei der Montage allerdings nicht. Irritationen von Seiten der Betrachter entstehen aus den Resten von Authentizität auf den Bildern und auch den offensichtlichen Eingriffen.
Schulz bewirkt damit zweierlei. Er "zeigt, dass im Grunde jedes Bild ein Konstrukt der visuellen Vorstellungskraft des Künstlers ist". In der Wirklichkeit zweiter Ordnung auf seinen Bildern scheinen die Gebäude "virtuelle Entwürfe" ohne Hinweise auf ihre realen Raumdimensionen zu sein - "Spielzeugarchitektur" eben, wie sein Lehrer Thomas Ruff dieses Kunstkonzept zu beschreiben versucht.
Anlässlich der Vernissage in Kaufbeuren kam Schulz in den Süden - auf der Suche nach neuen Motiven für die Serie seiner fotografischen Architekturinszenierungen. Unter einem diesig bis stark bewölktem Hochsommerhimmel macht er sich in meiner Begleitung mit dem Auto auf zum Euro-Industriepark im Münchner Norden. Einkaufs- und Verwaltungsbauten säumen beide Straßenseiten, abwechselnd mit Fabrikhallen und Parkplätzen. Ein synthetischer Einkaufsparadies, dessen Lack ziemlich ab ist. Die Fahrt ins Graue zielt auf die lohnende Entdeckung von Gebäuden, die für Schulz' Gestaltungen eine geeignete Basis vorgeben.
Erster Halt: Eine langgezogene, offensichtlich stillgelegte Halle. Hinter den verstaubten Fenstern sieht man wenige Hinterlassenschaften, abgenutzte Möbel usw.. Die Fassadenfarbe ähnelt - von Smog angestaubt und dezent gebleicht - dem fast penetranten Hellgelb überreifer Limetten, die Fensterrahmen strahlen signalrot.
Das Gebäude scheint gar nicht so unähnlich manch anderem auf Schulz' Bildern. Aus der Nähe und Abstand prüft er verschiedene Positionen. Erst dann baut er seine Plattenkamera auf und nimmt zwei Probeschüsse. Für seine Zwecke erweist sich das Objekt ungeeignet. Die Symmetrie der Hauptfassade wirkt zu regelmäßig und deshalb spannungslos. Das lasse sich nicht einmal mit einer raffinierten Kameraperspektive ausgleichen. Zudem sei die Oberfläche der Fassade - trotz rauer und grober Unebenheiten nicht gerade aufregend.
Die planlose Fahrt durch Seitenstraßen und Lieferantengassen führt zu einem großen, blickfangendem Kaufhaus, dessen Mauern sind mit mittelblau gefärbtem Wellblech eingefasst. Lohnend auf den ersten Blick. Auch auf den zweiten?
Wiederholung der Vorbereitungen. Den ersten Schuss verhindert der harsche Zwischenruf eines Mitarbeiters: Fotografiererlaubnis erteile nur die Direktion. Der Betriebsleiter kommt zufällig im gleichen Moment vorbei, entschuldigt die genaue Beachtung der vorgegebenen Richtlinien. Im Umgang mit künstlerischen Prozessen scheint er erfahren, holt aus zur großen Geste: "Diese Wand findet erregenden Anklang!" (O-Ton). Künstler fänden sich wöchentlich mehrfach ein, um das Einkaufsgebäude zu reproduzieren. Mittels des Kaufbeurer Katalogs mit den digital bearbeiteten Bilden folgen Erklärungen über den Zweck der Aufnahmen. Das sichert wenigstens eine formlose Erlaubnis zu wenigen "Probeaufnahmen". Allerdings darf der Firmenname weder erwähnt, das Logo auch nicht auf den Reproduktionen erkennbar sein. Bedauerlich, denn die Produktlogos auf den anonymen Fassaden sind auf den Bearbeitungen ja gerade Scheinsinn stiftender Bezugspunkt als Ersatz für die Ortshinweise.
Letzte Station ist die Rückseite eines Mediencenters und Elektrogroßhandels, von den heutigen Trouvaillen die am ehesten geeignete Fassade: Die Symmetrie der grauen Wand mit rostenden Eisenverstrebungen wird gebrochen durch die hohe Lieferanteneinfahrt und die durch ihre diagonale Grundlinie auflockernde Außentreppe. Auch die Probeaufnahmen sind vielversprechend, diesmal verhindert ein anderes Handicap die perspektivisch stimmige Fotografie: Auf dem allzu kleinen Vorplatz lässt sich keine erforderliche, großzügige Totale einfangen. Dabei finden sich an dieser Rückfassade interessante Linienkreuzungspunkte, mit denen sich später gestalterisch spielen ließe.
Ergebnislos bleibt der Abstecher ins Hasenbergl. Bäume in üppigem Laub beeinträchtigen die Sicht auf die Wohnblock-Fassaden,, die "Vergnügungszentren" sind weder geeignet noch groß genug.
Für den Begleiter erweisen sich die wenigen Stunden als Crashkurs in der hohen Schule des präzisen Sehens. Gemeinhin nur flüchtig gestreifte Ecken und Räume gewinnen in diesem sezierenden Blick mit einem Mal eine eigene Form strenger Schönheit. Die ästhetische Wertung bleibt aber außen vor, es geht um einen durch Zufall, aber nicht Absicht entstandenen dokumentarischen Eindruck an Randwegen der Überzivilisation. Eine Bestandsaufnahme sozialer Phänomene ist dabei nicht beabsichtigt. Vielmehr die absolut wertfreie Transformation von Zweckbauten, ihrer Gesichtslosigkeit und Anonymität.
Die Suche nach dem geeigneten Motiv gestaltet sich fast schwieriger als die künstlerische Metamorphose. Die farbliche Abstimmung des Endprodukts lässt sich allein nicht synthetisch herstellen, deren Basis ist ebenso bedeutsam wie die Atmosphäre der Industriegebäude.
Die Serie von Baearbeitungen industriearchäologischer Funde wird Josef Schulz im Februar 2003 im Kunstverein Mannheim zu einer Einzelausstellung bündeln. Das Motivspektrum der im Arbeitstitel "formen" genannten Serie hat er inzwischen etwas variiert. Überwiegend wird er industriell oder gewerblich genutzte Bauten darstellen, die "durch ihre ungewöhnliche Form dreidimensionale Überraschungen in sich bergen".